21.05.2025
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat in einem Strafurteil aus Deutschland eine Verletzung der Versammlungsfreiheit gesehen. Ein Mann hatte bei einer Demonstration gegen die Eröffnung der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main ein Plastikvisier getragen. Deswegen hatte ihn das dortige Amtsgericht (AG) verurteilt: Er habe gegen das allgemeine Verbot des Tragens von Schutzwaffen bei öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel in Deutschland verstoßen.
Der EGMR rügte die Gründe, die die deutschen Gerichte (das Urteil hatte durch alle Instanzen hinweg gehalten) für die Verurteilung angeführt hatten, als unzureichend. Die nationalen Gerichte hätten zwar das Recht des Mannes auf freie Meinungsäußerung berücksichtigt, aber keine Abwägung zwischen seinem Recht auf Versammlungsfreiheit und dem angestrebten Ziel der Verhinderung von Unruhen und Gewalt vorgenommen und auch die Merkmale der Demonstration nicht gewürdigt haben.
Da die nationalen Gerichte nicht erklärt hatten, warum das Tragen eines behelfsmäßigen Visiers eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellte, rügte der EGMR die Gründe, die die strafrechtliche Verurteilung rechtfertigten, für unzureichend.
Das behelfsmäßige Visier hatte sich der Verurteilte selbst gebastelt. Es bestand aus hartem durchsichtigem Plastik, bedeckte seine Stirn und Augen, wurde mit einem Gummiband zusammengehalten und war mit dem Slogan "smash capitalism" beschriftet.
Unter dem Begriff "Schutzwaffe" werden im deutschen Recht Gegenstände, Ausrüstungsgegenstände oder selbst hergestellte Konstruktionen verstanden, die objektiv geeignet sind, Angriffe oder Strafverfolgungsmaßnahmen abzuwehren; sie sind keine Waffen im technischen Sinne. Die deutschen Gerichte sahen in dem Visier eine Schutzwaffe – trotz seiner Einfachheit. Denn es habe die Augen des Demonstranten vor Pfefferspray schützen können.
Der EGMR bekräftigte, dass strafrechtliche Sanktionen einer besonderen Rechtfertigung bedürfen und dass eine friedliche Demonstration grundsätzlich nicht zu solchen Sanktionen führen sollte. Bei der Prüfung der strafrechtlichen Verantwortung eines Demonstranten müssten die Gerichte das Recht auf Versammlungsfreiheit berücksichtigen und entscheiden, ob eine strafrechtliche Verurteilung verhältnismäßig und "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" war.
Die hätten die deutschen Gerichte zwar das Recht des Versammlungsteilnehmers auf freie Meinungsäußerung berücksichtigt, aber weder sein Recht auf Versammlungsfreiheit mit dem angestrebten Ziel der Verhinderung von Unruhen und Gewalt abgewogen noch die Merkmale der Demonstration gewürdigt.
Außerdem hätten die nationalen Gerichte nicht erklärt, warum das Tragen eines behelfsmäßigen Visiers eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dargestellt habe.
Die Gründe, die sie zur Rechtfertigung der strafrechtlichen Verurteilung angeführt hatten, hätten für die strafrechtliche Verurteilung nicht ausgereicht. Der EGMR kam daher zu dem Schluss, dass der Eingriff nicht "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" gewesen sei Konvention die Versammlungsfreiheit im Sinne der Menschenrechtskonvention verstoßen habe.
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil vom 20.05.2025, 44241/20